Es gibt viele Gründe warum man nicht in den Spiegel schaut…
Der erste und logischste ist, wenn man tatsächlich keinen Spiegel hat… vielleicht die erste Wohnung oder gerade umgezogen und nicht eingeräumt… und für die abergläubischen der schlimmste Fall: der Spiegel ist gebrochen! Moment, schlimmer geht es noch, wenn eine schwarze Katze zu gleicher Zeit von links nach rechts die Straße überquert! (Oder war es von rechts nach links?)
Ein Spiegel ist nichts anderes als eine glatte, reflektierende Fläche. Die ruhige Oberfläche eines Sees ist genau so in der Lage das Licht zurück zu geben wie die mittlerweile industriell hergestellten beschichteten Spiegel. Früher wurden Papiere einseitig mit einer silbrigen Lösung bemalt und diese an ein Glas geklebt. Als kleines Kind haben diese alten Spiegel mich immer begeistert… Ich erinnere mich, bei meiner Oma das Papier an den abgebröselten Ecken gekratzt zu haben, um das Glas zum Vorschein zu bringen. Ja, ich bin schon so alt!
Die Begeisterung für diese alten Spiegel scheint jedoch ziemlich gängig zu sein und sogar bis zu heutigem Tag sich durchgehalten zu haben. Mittlerweile gibt es sogar digitale Filter, um die Bilder veraltet aussehen zu lassen. Mit diversen Chemikalien kriegt man ganz neue Spiegel in Handumdrehen zu einem shabby-used Look. Also, alte Spiegel sind weiterhin im Trend, wenn ihr im Dachboden noch einen habt, freut ihr euch.
Wir sind aber beim Thema in den Spiegel schauen… Ich muss mich öfters daran erinnern, dass ich nicht abdrifte!
Warum man nicht in den Spiegel schaut kann auch daran liegen, dass man keine Zeit dafür hat. Oh, das kenne ich gut! Als Mama hat man eh nie Zeit… Und wenn die Aufgaben, die einem durch den Kopf rattern schneller als die Zeit, die Liste zu leeren ist, dann wird die Betrachtung des Spiegels als Luxus gesehen. Nur in seltensten Situationen klappt es… Wiederum ist dies kein achtsamer Akt, sondern eine weitere Aufgabe im weitesten Sinne. Die Mama sollte dafür sorgen, dass sie einigermaßen anständig aussieht, bevor sie sich unter den Menschen mischt.
Ich kenne auch den Fall, dass man gar nicht in den Spiegel schauen möchte… weil er nicht bereit dafür ist, sich zu begegnen. Die tiefen Phasen des Lebens machen es unmöglich, sich für irgendwas zu begeistern… dann muss ich mich noch im Spiegel begegnen? Nein, danke! Das Leben mit allen Sorgen scheint ein großer Abgrund zu sein, was einen immer tiefer in seine Spirale zieht. Der Weg zurück an die Oberfläche ist lang und mühsam. Ich wünsche jedem in dieser Phase die sanfte Hilfe, die er braucht…
Angenommen, ich habe einen Spiegel und möchte mich anschauen… Was sieht man da? Die Pickel im Gesicht, die unmöglichen Augenbraune (entweder sind sie zu dick oder zu dünn, aber niemals richtig!), die schleichenden Falten, die ergrauten Haare oder hängender Kinn… und ich soll mich mit dem ganzen anfreunden? Zugegeben ist es nicht einfach. Klar, die Schönheitsideale spielen eine große Rolle in unserer Gesellschaft, und es ist beinahe unmöglich, ohne diese bewertende Einstellung aufzuwachsen. Wir wollen geliebt werden und wollen den anderen Menschen gefallen, so dass sie uns lieben… aber wer sagt dass der Pickel im Gesicht und hängender Kinn gerade nicht dazu beiträgt uns authentisch zu machen und gerade deswegen so liebenswert? Die Schönheit ist relativ, Liebe entsteht nicht wegen der Schönheit, sondern über die Anziehung… und das hat mit den Energien zu tun! Das ist aber ein Thema für ein weiterer Text.
Soweit so gut zum Thema physisch in den Spiegel schauen… eigentlich möchte ich über den übertragenen Sinn schreiben… Der Spiegel, als Metapher für Selbsterkenntnis… als Mittel, sich anzunehmen, wie man so ist, mit allen seinen Besonderheiten… Ohne zu bewerten und zu kritisieren! Das ist nicht einfach… ganz und gar nicht einfach… Erst im Laufe des Älterwerdens hat man eher die Wahrscheinlichkeit, sich mit sich anzufreunden. Schwierig ist es in den jüngeren Jahren das Ego zu drosseln.
Erfreulicherweise gibt es heutzutage viele Coaching-Angebote, die genau die Frage der Selbsterkenntnis thematisieren. Ich finde sie wichtig… Vielleicht ist die Zeit reif dafür, dass wir anfangen, bewusster zu leben und wahrnehmen, dass das Leben nicht auf das physische Dasein reduziert ist. Nicht umsonst heißt es auch Körper-Seele-Geist Dreiklang…
Stellt ihr Euch vor, es gäbe einen besonderen Spiegel… einen fantastischen… Dieser Spiegel hätte magische Kräfte, um mit der Person, die vor ihm steht zu kommunizieren. Jeder kennt sicher die Geschichte des Rotkäppchens und der Spiegel der Schwiegermutter… „Spieglein, Spieglein an der Wand… Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Dann antwortet der Spiegel… So etwa kann man das Geschehen sich vorstellen.
Unser fantastischer Spiegel hat einen Namen: Ouroboros… der Spiegel von Anfang und Ende! Er ist wirklich einmalig und uralt. Ouroboros redet nicht… ihm gelingt die Übermittlung seiner Nachricht durch Telepathie. Wer daneben steht weiß nicht mal, was der Betrachter sieht oder fühlt. Im Gegenteil herrscht ein Tornado in den Gedanken der Person, die mit dem Spiegel in Interaktion ist. Da werden Erinnerungen hochgeholt – gute wie schlechte, und werden wie im Kino vor ihm abgespielt.
“Nur Du kannst wissen, was Dich zerbrechen würde, Fluchbrecher. Nur Du allein.”
Das ist die absolute objektive Betrachtung eines Menschen… es geht nicht um die Äußerlichkeiten, aber um die Werte die er folgt, wie er denkt, wie er fühlt bewusst oder unbewusst. Zum Teil versteckt man sich vor manchen Gedanken, unterdrückt unanständige Gelüste oder verstellt sich nach Außen mit der umgekehrten Meinung, um nicht erkannt zu werden. Dem Ouroboros entgeht nichts und alle diese gute wie miese Seiten werden vor den Augen abgespielt, direkt ins Verstand übermittelt.
Es bedarf Mut, in den Ouroboros zu schauen! Für Manche ist die Vorstellung wie eine Horrorgeschichte! Viele haben es nicht geschafft, das, was sie sahen zu verarbeiten und litten darunter. Es wird gesagt, es ist nicht möglich, von der Wahrheit nicht übermannt zu werden. Es bedarf einen sehr hohen Grad an Selbsterkenntnis und Selbstliebe, den Schritt zu wagen, und sich vor seinen Schattenseiten zu stellen… das ist es nämlich, was wir fürchten, daher auch am liebsten gar nicht uns damit beschäftigen möchten.
Was ist gut, was ist böse? Wo ist die Grenze? Gibt es auch Stufen von böse und gut? Diese Fragen sind philosophisch und werden gestellt, aber bleiben unbeantwortet. Für mich ist es ein klarer Fall: sicher bestehen beide Seiten… und zwar in jedem Menschen. Keiner ist super gut und keiner ist super böse. Wer seine Schattenseiten akzeptiert und sich dazu bekennt, ist nur zufriedener als die, die sie ablehnen und nach einem Ideal hinterherfahren.
Zum Guten gehört auch das Böse… sonst könnte man nicht das Gute erkennen und Wert schätzen. Genau so ist der Weg des Bösen ist es für manche der richtige Weg, um den Guten zu finden. Böse ist sofern nicht schlecht, sondern notwendig… Diese Gegensätze sind die Regel der Natur und sie helfen zu balancieren, zu lernen, zu akzeptieren, aber niemals abzulehnen. An sich ist es nicht richtig diese Extremen so zu nennen und eine zu loben, andere zu vermeiden.
Irgendwann, wenn man den Unterschied zwischen gut und böse nicht mehr wahrnimmt, verschwindet tatsächlich die Grenze. Dann verschmelzen die beiden extremen zu einer Einheit. Alle werden vereint, wie es auch so gehört. Hier kommt das Zauberwort „Achtsamkeit“ ins Spiel, der nicht bewertet sondern beobachtet… Es ist nicht nur ein Wort, um die Sinne zu schärfen und alles drum rum besser wahrzunehmen, sondern die Einstellung, tatsächlich nicht in gut und böse zu kategorisieren… wissend dass es richtig ist, so wie es ist, wie ich bin, wie wir alle sind.
Es bedarf Mut, es bedarf Übung… Vor allem braucht es aber Zeit, uns von unserer menschlichen Haut mit vollen Emotionen und Reaktionen auf den Umwelt zu trennen. Einfach habe ich nicht gesagt… gerade für die empathischen, gefühlsbetonten Wasser-Menschen wie ich! Und ich übe seit meiner Kindheit, mich von oben zu betrachten, mein Dasein als körperliche und geistige Wesen zu unterscheiden. Manchen gelingt es besser, ihre Gelassenheit beizubehalten und das Ego verschwinden zu lassen. In der Geschichte wird es dann so ausgetragen: sobald man sich darauf vorbereitet hat, seine Schatten Seiten zu lieben, dann kann er in den Ouroboros schauen und ihn beherrschen.
Das war tatsächlich eine tolle Erzählung über den Ouroboros! Aber nicht von mir… Vor einigen Jahren habe ich die Bücher Das Reich der Sieben Höfe von Sarah J. Maas gelesen. Dort, ziemlich gegen Ende der Geschichte wird Feyre gebeten, den Ouroboros gegen eine Gefälligkeit zu holen.
„… Es ist selten, dass jemand fähig ist anzuerkennen, wer und was er wirklich ist, ohne sich abzuwenden und wegzulaufen. Darum geht es bei diesem Spiegel: Er zeigt allen, die hineinschauen, ihr wahres Gesicht, wie abscheulich es auch sein mag. Manche sehen hinein und merken gar nicht, dass der Schrecken, der sie da anblickt, sie selbst sind. Und der Schrecken treibt sie in den Wahnsinn. Einige treten großspurig auf und sind erschüttert von der bemitleidenswerten Kreatur, der sie ins Gesicht blicken…“
Ich bin sehr dankbar, dieses Buch gelesen, und die versteckte Mittelung mit dem Ouroboros verstanden zu haben. Der Metapher “in den Spiegel schauen” hat mich lange begleitet und den geeigneten Platz in meiner BaZi Arbeit gefunden. Indem ich die BaZi einer Person lese, zeige ich ihm sein wahres ich, als würde er in den Spiegel schauen…
PS: Ouroboros heißt übersetzt Schwanzverzehrer, und wird mit einer Schlange, die in seinen eigenen Schwanz beißt. In ihrer Erzählung hat die Schriftstellerin vermutlich von den Wandlungen ohne Anfang und Ende inspirieren lassen.